Traumjob Wissenschaft (Herrschinger Kodex)

Datum: 
26.11.2013
Beschluss: 

I PRÄAMBEL

Im September 2012 hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Herrsching den Leitfaden
"Gute Arbeit in der Wissenschaft" (Herrschinger Kodex) erarbeitet. Dieser formuliert eine Selbstverpflichtung für Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft gewährleisten. Damit sollen Mindeststandards für Hilfskräfte, Mitarbeiter*innen und Professor*innen geschaffen werden, die wissenschaftliche Karrieren fördern und absichern. Dieser Kodex dient als Grundlage und Motivation für diesen Antrag.

 

II ANTRAGSTEXT
Das Studierendenparlament des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) möge beschließen:
Die Studierendenschaft am KIT befürwortet den Herrschinger Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) und die studentischen Senator*innen wirken darauf hin, dass der Herrschinger Kodex unter Beachtung der im Folgenden genannten Punkte am KIT umgesetzt wird:

 

III FORDERUNGSKATALOG
Mit dem Herrschinger Kodex könnten erstmals Mindeststandards für die Beschäftigung von Hilfskräften über wissenschaftliche Mitarbeiter*innen bis hin zu Professor*innen an unserer Hochschule geschaffen werden. Als Mitglieder dieser Hochschule sind wir an guten Arbeitsbedingungen nicht nur für Studierende sondern alle Beschäftigten interessiert. Es liegt in unserem Interesse, dass sowohl für Hilfskraft-Tätigkeiten als auch für Beschäftigungsverhältnisse während Qualifikationsphasen (Promotion und Habilitation) sowie darüber hinaus einheitliche Mindeststandards gelten. Sichere Arbeitsverhältnisse wirken sich positiv auf die Qualität der Lehre aus.

Der Kodex wird auch in einer Sonderausgabe der Deutschen Hochschulzeitung (DUZ) behandelt. Von Interesse ist das Gespräch zwischen Horst Hippler (Präsident der Hochschul-Rektoren-Konferenz) und Andreas Keller (Mitglied im GEW-Vorstand). Laut Hippler müssen Doktorand*innen-Stellen aufgrund ihres Qualifizierungscharakters befristet sein. Gleichzeitig sollen mehr Postdoc-Stellen geschaffen werden. Er sieht die Befristung als Flexibilitätsfaktor für Hochschulen, spricht sich für Familienfreundlichkeit ausund bewertet die Tenure-Track-Option als sinnvoll.

Doch zu hohe Flexibilität auf Seite der Arbeitgeber*innen verlagert das Beschäftigungsrisiko gänzlich auf die Arbeitnehmer*innen. Dies ist weder zielführend noch ökonomisch sinnvoll, da es qualifizierte Wissenschaftler*innen abschreckt.

 

III.1 Absicherung der Promotionsphase
Tarif-vertragliche und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Promovierende sind anderen Finanzierungsformen grundsätzlich vorzuziehen. Dies gilt auch für Stipendien, wie sie etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihren Graduiertenkollegs vergibt.

Es gilt die Vorteile einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (Erwerb von Rentenansprüchen, höherer Lohn, etc.) sowie eines Stipendiums (Laufzeit in der Regel drei Jahre und damit die gesamte voraussichtliche Dauer der Qualifikationsphase) zu verbinden. Davon unberührt bleiben Organisationsstrukturen der Promotion, wie die Einordnung in Graduiertenkollegs oder Graduiertenzentren.

Darüber hinaus schaffen Qualifizierungsvereinbarungen zwischen Promovierenden und der Hochschule Sicherheit auf beiden Seiten und gewährleisten eine hochwertige Betreuung. Bei schriftlicher Festhaltung einer solchen Vereinbarung zu Beginn der Promotion ist darauf zu achten, dass die Freiheit der Forschung nicht eingeschränkt wird und gleichzeitig eine aktive und unterstützende Betreuung durch die Gutachter*innen stattfindet.

 

III.2 Berechenbare Perspektiven für Postdocs
Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft nach der Promotion benötigen Perspektive. Tenure-Tracks, bei denen sich die Hochschule zu einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis für Postdocs verpflichtet, sofern diese eine gemeinsam ausgehandelte und der individuellen wissenschaftlichen Weiterentwicklung angemessene Zielvereinbarung erfüllen, können dies leisten.

Noch sind Tenure-Tracks in Deutschland und auch an unserer Hochschule selten. Daher fordern wir, dass (Junior-)Professuren – sofern befristet ausgeschrieben – grundsätzlich nicht ohne Tenure-Track-Option auf eine volle Professur vergeben werden, sowie dass Postdocs nach maximal zwei Beschäftigungsjahren eine Tenure-Track-Option zur unbefristeten Beschäftigung erhalten.

Davon unberührt bleiben unmittelbar unbefristete Beschäftigungsverhältnisse, die die Regel darstellen sollten. Die Anstellung von Postdocs als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen ist abzulehnen.

 

III.3 Mindeststandards für befristete Beschäftigungsverhältnisse
Beschäftigungsverhältnisse dürfen nur in begründeten Fällen (Qualifizierungs-, Drittmittel- und Vertretungsstellen) befristet werden. Unbefristete Beschäftigung wird als Regelarbeitsverhältnis angestrebt.

Die Laufzeit befristeter Beschäftigungsverhältnisse muss dabei unabhängig von der Finanzierungsart mindestens der voraussichtlichen Dauer der Qualifizierung entsprechen, d.h. zwei bis fünf Jahre bei Promotionen und entsprechend länger bei Habilitationen. Eine kürzere Laufzeit schafft Unsicherheit und führt den Grundsatz einer Qualifizierungsphase ad absurdum.

Der Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse in Wissenschaftseinrichtungen ist in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hoch. Eine hohe Drittmittelquote fördert diese Entwicklung noch. Gleichzeitig dürfen die Unsicherheiten bei der Finanzierung von Drittmittelstellen nicht von der Hochschule auf die Arbeitnehmer*innen übertragen werden. Deshalb sollten hochschulweite Überbrückungsfonds eingerichtet werden, die eine Beschäftigung bis zum Ende der Qualifizierungsphase sicherstellen.

 

III.4 Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung
Wissenschaftler*innen soll grundsätzlich eine Vollzeitbeschäftigung angeboten werden. Teilzeitverhältnisse sollten nur auf ausdrücklichen Wunsch abgeschlossen werden.Eine Unterschreitung des Umfangs von 50% erfordert die Zustimmung des Personalrats.

Darüber hinaus sollte der Anteil der Teilzeit-Mitarbeiter*innen durch eine weiche Quote begrenzt sein, dessen Überschreitung die Zustimmung des Personalrats erfordert. Dies schützt zum einen Arbeitnehmer*innen vor Ausbeutung durch Teilzeitverträge. Zum anderen dürfen Teilzeitstellen nicht dazu führen, dass bestimmte Personalmittel nicht abgerufen werden können, die Gesamtskalierbarkeit muss sichergestellt sein.

In kleineren Organisationseinheiten kann dies problematisch sein, da etwa Bewerbungen von Personen, die halbtags arbeiten möchten, allein aufgrund dieses Umstands abgelehnt werden könnten. Gegebenenfalls sind zentrale Mittel zum Auffangen von „Bruchstellen“ in (kleineren) Instituten empfehlenswert.
 

III.5 Nebenberufliche Beschäftigung
Die Expertise von externen Lehrbeauftragten ist in einigen Studiengängen unerlässlich. Daher sind Lehraufträge angemessen zu vergüten und im Sinne einer zukunftsorientierten Personalpolitik in der Regel für mindestens zwei Semester zu vergeben.

Die am meisten unterbeachtete Gruppe von nebenberuflich Beschäftigten an der Hochschule sind jedoch Hilfskräfte. Diese sollten nicht die Aufgaben von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten übernehmen. Aus diesem Grund ist auf die Personalkategorie der wissenschaftlichen Hilfskräfte mit Hochschulabschluss zu verzichten. Bachelor- und Masterstudierende werden folglich als studentische Hilfskräfte angestellt, deren Beschäftigungsdauer nicht auf die Regelungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angerechnet wird. Grundsätzlich dürfen Hilfskräfte nur Tätigkeiten in Forschung und Lehre wahrnehmen, eine Beschäftigung in der Verwaltung ist auszuschließen.

Studentische Hilfskräfte sollen in der Regel für die Dauer von mindestens einem Jahr eingestellt werden. Davon darf nur in begründeten Fällen (z. B. einsemestrige Tutoren-tätigkeiten) oder auf ausdrücklichen Wunsch der Hilfskraft abgewichen werden. Die Vergütung hat nach den vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst ausgegebenen Höchstsätzen für Bachelor- und Masterstudierende zu erfolgen.

 

III.6 Familienfreundliche Gestaltung von Karrierewegen
Gerade in akademischen Berufen stellt sich für viele Berufseinsteiger*innen die Frage, wie viel Zeit sie sich für Familie und Privatleben nehmen können. Flexible Arbeitszeiten und Beschäftigungsmodelle sollen Eltern ermöglichen, sich auch während ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit angemessen um ihre Kinder zu kümmern.

Die Betreuungsangebote für Studierende und Wissenschaftler*innen mit Kind sollen nachfrageorientiert ausgebaut werden. Auch die Hochschule muss Verantwortung zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz übernehmen. Die hochschuleigenen Betreuungsangebote, die sich bislang ausschließlich an Mitarbeiter*innen richten, sind auch für die Kinder von Studierenden zu öffnen.

 

III.7 Gleiche Chancen für Frauen und Männer
Für Frauen und Männer gelten auf allen Stufen der wissenschaftlichen Laufbahn gleiche Chancen und Rechte. Die Anstellung von Frauen und Männern an unserer Hochschule soll sich an dem Kaskadenmodell orientieren. Bei diesem Modell dient bei der Besetzung von Stellen der Anteil von Frauen auf der vorhergehenden Qualifikationsstufe als Bezugsgröße. Dies folgt auch einer Empfehlung des Wissenschaftsrats (Wissenschaftsrat, 2012). Einige Forschungseinrichtungen wie die der Leibniz-Gemeinschaft setzen ein Kaskadenmodell bereits erfolgreich ein (Leibniz-Gemeinschaft, 2012).

 

III.8 Personalentwicklung, Personalplanung und Personalmanagement
Es liegt im Interesse und in der Verantwortung einer Hochschule, ihrem wissenschaftlichen Personal vielfältige Weiterbildungsangebote im Rahmen einer aktiven Personalpolitik zur Verfügung zu stellen. Im Zuge von Maßnahmen zur Verbesserung der Lehrqualität sind auch obligatorische Weiterbildungsinstrumente zu erwägen. Nur so kann langfristig eine hohe Qualität in Lehre und Forschung garantiert werden.

 

III.9 Beteiligung und Mitbestimmung
Eine demokratische Hochschule fördert die Beteiligung und Mitbestimmung ihrer Studierenden und Mitarbeiter*innen. Dazu gehört auch die Anrechnung von Gremientätigkeiten auf die Arbeitszeit, denn Engagement soll nicht zum Nachteil verwendet werden. Es darf niemals eine Abwägung zwischen wissenschaftlicher Karriere und Engagement in Hochschulgremien geben.

Neue Partizipationsformen (z. B. in Graduiertenfördereinrichtungen oder Forschungsclustern) können die Legitimation und Akzeptanz von Entscheidungen in Hochschulgremien steigern und gerade auch Doktorand*innen ohne Beschäftigungsverhältnisse integrieren.

 

III.10 Einhaltung des Kodex
Eine Ombudskommission zur Überwachung der Einhaltung des Kodex , der Studierende, Doktorand*innen, Postdocs und externe Sachverständige angehören, sollte eingerichtet werden. Diese kann außerdem als Annahmestelle für (anonyme) Hinweise auf Verstoße gegen die Bestimmungen des Kodex fungieren und diese im Rahmen ihrer operativen Arbeit verfolgen.

 

IV LITERATURVERZEICHNIS
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2012). Herrschinger Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“. Online-Version unter: www.gew.de/Herrschinger_Kodex.html

Leibniz-Gemeinschaft (2012). Leibniz bekennt sich zu „Kaskadenmodell“. Online-Version unter: www.leibniz-gemeinschaft.de/medien/aktuelles/news-details/article/leibni...

Wissenschaftsrat (2012). Fünf Jahre Offensive für Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern –
Bestandsaufnahme und Empfehlungen
. Online-Version unter: www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2218-12.pdf
 

 

Abstimmungsergebnis
Ja: 
11
Nein: 
2
Enthaltung: 
1
Beschluss-Themen: